In meiner Darstellung über das Volk der Kelten möchte ich mich beschränken auf jene Informationen, die zur Erschließung und zum Verständnis der keltischen Literatur nützlich sind. Ich gehe deshalb
hauptsächlich auf das Wesen der Kelten ein, auf die Krieger, die den Hauptstoff für die keltischen Mythen und Sagen liefern sowie auf ihre unvergleichliche Metallkunst.
Zum Weiterlesen mag sich der interessierte Leser an meiner Literaturliste orientieren. Die dort aufgeführten Titel kann ich ausdrücklich
empfehlen.
Das äußere Erscheinungsbild der Kelten ist uns durch die vielfältigen Schilderungen klassischer Autoren zugänglich. Ihre Schilderungen gehen zumeist dahin, dass das Aussehen der Kelten höchst sonderbar und ebenso beeindruckend war. Sie werden als stattlich, blond, gut gewachsen und von rauer Stimmlage beschrieben. Tacitus setzt allerdings Beobachtungen dagegen, deren zufolge es auch ganz andere Menschentypen unter ihnen gegeben hat: die Bewohner Schottlands (damals die Pikten) hätten rötliches Haar und kräftige Glieder gehabt, in Wales traf man eher dunkelhäutige Typen mit lockigem Haar an. [1]
Von Diodorus Siculus (1. Jh. v.u.Z.) erfahren wir einiges im Hinblick über die „Macht des Wortes“, auf die ich im Kapitel über die Druiden bereits eingegangen bin. „Die Kelten sind von
furchterregendem Anblick, ihre Stimmen tieftönend und rau. In Gesprächen machen sie nicht viele Worte, vielmehr drücken sie sich rätselhaft aus und deuten vieles nur mit halben Worten an; dagegen
sprechen sie viel und überschwänglich, um sich ins beste Licht zu setzen und andere herab. Sie drohen gern und drücken sich hochfahrend und dramatisch aus. Dabei besitzen sie einen scharfen Verstand
und sind zum Lernen keineswegs ungeschickt. Es gibt bei ihnen Liederdichter, die sie Barden nennen. Diese tragen ihre Lieder – Lobgesänge oder Schmählieder – unter Begleitung von Instrumenten vor,
die der Lyra ähnlich sind.“ [2]
Über ihr äußeres Erscheinungsbild sagt er außerdem, dass sich die Adelsschicht der keltischen Stämme rasierte bis auf ihre sehr imposanten Schnauzbärte, voll und an den Seiten lang, während Caesar
über ihr Haupthaar schrieb, dass es lang getragen wurde.
Strabo erwähnt, dass Fettleibigkeit bei den Männern nicht akzeptierbar war und sogar unter Strafe gestellt werden konnte. Die Frauen besaßen Spiegel und schminkten sich. Man hat sogar Pinzetten
gefunden, mit denen sie sich offenbar störende Haare auszupften.[3]
Die Gesellschaftsform der keltischen Stämme folgte einer strengen Hierarchie. Ein Fürst (in früheren Zeiten ein König) führte das Volk an. Zur Stammeselite gehörten in erster Linie die Krieger,
die Druiden und andere Gebildete sowie die Metallschmiede, die Ihre feinen Künste u.a. in den Dienst der Waffen stellten (siehe weiter unten auf dieser Seite). Die Rangfolge war dabei in äußerst
flexiblem Zustand. Ein Adliger hatte sogenannte „Klienten“, d.h. nicht- adlige Männer, die in seinen Diensten standen. Wie später in den Rittergesellschaften des Mittelalters standen sie unter dem
Schutz ihres Herrn und leisteten ihm Waffendienst. Diese Verhältnisse hatten in der Hauptsache auch einen wirtschaftlichen Aspekt: Der Adlige stellte seinen Klienten Vieh zur Verfügung und wurde von
diesen im Gegenzug mit Nahrungsmitteln versorgt, die diese produzierten, denn die meisten Menschen waren Bauern. Je mehr Klienten ein Adliger um sich versammelte, desto angesehener war er. Ein Klient
war dennoch ein „Unfreier“; die unterste Schicht der Gesellschaft bildeten die Sklaven.
Wenn die Kelten keinen Krieg führten, verlegten sie sich gern auf Überfälle auf die Nachbarstämme und raubten deren Vieh. In Friedenszeiten verbrachten Adlige und Krieger ihre Zeit mit Jagd und
Spiel. [4]
Es fällt nicht schwer, sich an dieser Stelle die Ritter der Tafelrunde vorzustellen, wie sie sich während einer dreißigjährigen Friedenszeit im wahrsten Sinne des Wortes tödlich bei Spaß und Spiel zu
langweilen begannen – ein unerträglicher Zustand für einen keltischen Krieger. Leicht können wir daraus ableiten, warum sich ihre unbenutzten Kräfte gegeneinander zu richten begannen und mit der
Suche nach dem Gral das dunkle Zeitalter eingeläutet wurde.
„Die sinnentleerte, zum Ritual erstarrte Suche nach ihm führt schließlich zum Tod des König Artus und zum Untergang seines Reiches“, schreibt Wolfgang Achnitz. [5]
Aber noch sind wir bei den gefeierten Kriegern: „Ein wesentliches Element des keltischen Lebens war das Fest. Bei solchen Anlässen konnten die Menschen sich ihrer Zusammengehörigkeit versichern, ihre ruhmreiche Vergangenheit beschwören, ihre Rangordnung und ihre Treue demonstrieren und sich gemeinsam an den reichen Geschenken freuen, die ihre Fürsten unter sie verteilten. Großzügigkeit gegenüber den Untertanen war königliche Pflicht.“[6]
„Keltische Künstler entwickelten unter der Schirmherrschaft der Aristokratie einen ebenso originalen wie fesselnden Kunststil, eine abstrakte Kunst, die aus einer genauen Beobachtung der
natürlichen Welt das Wesen von Linie und Form destillierte. Der Künstler strebte nicht nach Abbildung der Realität, sondern er suchte das Wesentliche, das nicht Greifbare, das Flüchtige einzufangen.
Seine Kunst lebte von Überraschungen, Trugbildern, Verwandlungen.
In ihrer ersten Blüte war die keltische Kunst zwar das Privileg der Aristokratie, doch wurde sie bald zu einer Sache des Volkes. Ein Töpfer der Eisenzeit bemühte sich ebenso um ein ansprechendes
Dekor für einen Kochtopf wie der Bronzeschmied. Sein Ausdrucksmittel mochte weniger exotisch, seine Technik weniger anspruchsvoll sein – gemeinsam war beiden die elementare Liebe zur Form. […]“
[7]
Von Diodorus wissen wir, dass Frauen wie Männer viel Goldschmuck trugen, massive Ketten um den Hals, Arm- und Fußreifen sowie Goldringe an den Fingern. Besonders zu erwähnen ist dabei der sogenannte Torques, „ein mehr oder weniger steifer Halsring aus Gold, Silber oder Bronze der nur hohen Würdenträgern und deren Frauen zustand; nach 350 v.u.Z. trugen ihn nur noch die Männer. Der Torques kann vorne auseinander gebogen werden, die Pufferenden sind kunstvoll verziert, oft mit Tierköpfen. Der Torques wurde mehr und mehr zum Symbol besonderer kriegerischer Tapferkeit oder gar göttlicher Würden.“ [8]
„Die große Masse der [keltischen] Geschichten – und die interessantesten - kreisen um die Inkarnation der keltischen Götter als Krieger; […]. Die Iren z.B. identifizierten sich mit ihren Göttern
als die Tuatha Dé Danann [das Volk der Göttin, Anmerkg. Sp.] – und der größte aller Krieger war die Sonne selbst, der Sieger in dem sich ewig erneuernden Kampf mit der Dunkelheit.“ […] [9]
„Als Krieger unter Kriegern zu leben war für die Kelten das Ideal; im Kampf zu sterben jedoch, umgeben von Freunden, Dichtern und hundert toten Feinden, war ihnen die höchste Erfüllung. Eine solche
Einstellung zu Tod und Wiedergeburt ist für das moderne westliche Denken schwer begreiflich. Im Grunde wird der freie Fluss des Bewusstseins im Sinne einer „Sphäre des Nichts“ verstanden, deren
Angelpunkt das Leben ist; so wie Buddha über seine Erleuchtung unter dem Bo-Baum bei Benares sagte: „der Grund des Lebens … ist der Tod.“
Die mit der Initiation einsetzende Vorbereitung auf den höchsten Augenblick verlieh dem keltischen Krieger Furchtlosigkeit und Stolz. […] In der Geschichte von Cú Chullainn nimmt der Sonnengott
körperliche Gestalt an, um die Aufgabe des Kriegers zu übernehmen, der während seines dreitägigen Sterbens noch immer todbringend zu bleiben vermag. Auf dieser Stufe […] kann er die drei mystischen
Welten des keltischen Lebens nach dem Tode erklimmen: vom irdischen Körper zum physischen Geist und schließlich zum strahlenden Seelenlicht, in dem sich die Sonne selbst manifestiert. Während Cú
Chulainn schläft, verbindet er sich mit dessen eigenem Strahlenkörper, der alle Welten zugleich bewohnt.
Diese mühelose Hin- und Herverwandlung zwischen menschlichem Kriegerhelden und seinem Archetyp aus dem Jenseits, dem Sonnengott, ist in allen Arten von keltischen Geschichten üblich. Dies ist
auch der Schlüssel zu den keltischen Mysterien: die Verschmelzung der spirituellen, physischen und imaginären Sphären. Das spätere Beharren der Christen auf einer Dualität von Licht und Dunkelheit,
von Körper und Seele, von dieser Wirklichkeit und den anderen zahlreichen Möglichkeiten in Zeit und Raum war den Kelten unbekannt. Dies erklärt beispielsweise auch die vielen Verwirrungen um die
Artussage.“ [10]
„Die keltischen Mythen nehmen Gestalt an in fließenden Zwischenstadien wie im Zwielicht zwischen Hell und Dunkel oder Tag und Nacht, oder im Tau, der weder Regen- noch Meer-, weder Fluss- noch
Brunnenwasser war; und sie bedienten sich der heiligen Mistel, die weder Pflanze war noch Baum.“[11]
John Sharkey hält König Artus durchaus für eine historische Gestalt, für einen militärischen Führer der Briten des 6. Jahrhunderts; seine eigentliche Bedeutung wäre jedoch die eines mythischen
Helden: eines unsterblichen Sonnenkriegers. Er wäre der beliebteste und romantischste der keltischen Sonnenhelden. […][12]
Zum Schluss möchte ich noch eine Schilderung Gerhard Herms über die antike Marmorstatue „Der sterbende Gallier“, die er in den Kapitolinischen Museen in Rom betrachtete, einbringen: „Als ich,
[...], einmal den Versuch unternahm, dem „sterbenden Gallier“ direkt in die Augen zu blicken – man muss sich dazu fast auf den Boden legen - , war ich so verblüfft wie selten bei der Konfrontation
mit einem Kunstwerk. Was da auf mich heruntersah, war ja durchaus nicht das „edle Antlitz“, das ihm immer nachgerühmt wird, sondern im Gegenteil so ein alltägliches Gesicht, dass sein Träger kaum
aufgefallen wäre, wenn er es durch eine unserer Straßen getragen hätte. Struppiges Haar, niedere Stirn, etwas knollige Nase, darunter einer jener keltischen Schnauzbärte, die inzwischen längst wieder
große Mode sind. Der Mund ist halb geöffnet, alle Gesichtszüge sind erstarrt im Ausdruck weniger des Schmerzes als vielmehr eines schmerzlichen Nichtverstehens.“ [13]
Näher als durch diese Beschreibung könnten wir diesem Vorfahren nicht sein...
[1] vgl. Barry Cunliffe (1984, S. 44)
[2] nach Barry Cunliffe (1984, S. 5)
[3] vgl. Barry Cunliffe (1984, S. 44)
[4] vgl. Barry Cunliffe (1984 S. 44) und Die Kelten (Time Life 1975, S. 69)
[5] Wolfgang Achnitz (2012, S. 151)
[6] Barry Cunliffe (1984, S. 42)
[7] Barry Cunliffe (1984, S. 98)
[8] Ingeborg Clarus (1991, S. 20 f.)
[9] John Sharkey (1982, S. 9)
[10] John Sharkey (1982, S. 10)
[11] John Sharkey (1982, S. 10)
[12] John Sharkey (1982, S. 10)
[13] Gerhard Herm (1984, S. 64)