Der keltische Kessel ist ein zentrales Symbol, das in vielen keltischen Mythen und Sagen in Erscheinung tritt. „In den Festhallen der Könige und Fürsten spielte er eine große Rolle, wenn Mengen
von Fleisch zu sieden und Bier zu brauen waren.“ [1] [...] „Er war Sinnbild für Fülle und Gastfreundschaft, beides Tugenden des rechtmäßigen Herrschers.
Abgesehen vom profanen Gebrauch war der Kessel, wie archäologische und schriftliche Quellen bestätigen, das heilige, rituelle Gefäß schlechthin, vergleichbar mit dem christlichen Kelch, den der
Mythos vom Haushaltsgegenstand zum sakralen erhebt. Er wurde zum vielschichtigen Symbol, zu einem wahren Brennpunkt der Mythologie, was sich auch in seiner Ausgestaltung immer mehr zeigte [...]
[2]
Der irische Gottkönig Dagda besaß einen Kessel, den keiner je ungesättigt verließ, „jeder erhielt die Speise, die zu ihm passte und ihm schmeckte, ein Zug, den der Gral übernehmen wird.“ [3]
In einem Gedicht aus dem „Buch von Talisien“ *1 wird von einer Reise König Arthur´s und seiner Gefährten in die „Anderswelt“ *2 erzählt. Die Anderswelt der Waliser heißt Annwn, dessen Herr der Fürst Arawn ist. „Artus und seine Getreuen müssen eine Meerfahrt unternehmen, bis sie die
Unterwasserfestung Caer Siddi erreichen. Das Ziel ihrer verhängnisvollen Expedition – nur sieben Mann kommen von drei Schiffen lebend zurück – ist der Raub des magischen Kessels der Fülle, der das
Herzstück der Anderswelt ausmacht.“ [4]
Bran, ein britischer Gottkönig, der „Urkönig“ (I. Clarus) hatte einen Kessel der „Wiederbelebung“. In der Schlacht gefallene Krieger wurden hineingeworfen und waren am nächsten Tag wieder lebendig
mit voller Kampfeskraft. Allerdings konnten sie nicht mehr sprechen. Auf dem berühmten Kessel von Gundestrup *3 ist eine solche Szene dargestellt. Hier werden
aus den Fußsoldaten berittene Krieger; die Neugeburt ist – so könnte man es deuten – möglicherweise auch mit einem gesellschaftlichen Aufstieg verbunden. [5]
Die große walisische Muttergöttin Ceridwen schließlich hat einen Kessel der Weisheit. In einer Erzählung braut sie einen Trunk der göttlichen Eingebung und Dichtkunst für ihren hässlichen Sohn.
[6] Der weitere Verlauf der Geschichte schildert die Herkunft Talisiens.
„All diesen magischen Kesseln ist gemeinsam, dass sie in Verbindung mit den Elementen Feuer und Wasser die lebendigen und lebenserhaltenden Prozesse fördern.“ [7]
* 1 „Preidu Annwfn“ – „Die Beraubung der Unterwelt“
* 2 siehe Mabinogion: „Pwyll, Herrscher von Dyfed“
* 3 Kessel von Gundesstrup: Fund 1891, „Prunkstück keltischer Goldschmiedekunst“ (Botheroyd), heute im Nationalmuseum Kopenhagen
„Einer frühchristlichen Legende des Nikodemus-Evangeliums zufolge war der Gral jener Kelch, den Christus beim letzten Abendmahl benutzte und in dem dann Joseph das Blut des Gekreuzigten, das aus der Seitenwunde floss, auffing. Joseph wurde dann 40 Jahre im Kerker gefangen gehalten, anschließend brachte er den Kelch über Rom nach England, um die Insel zu missionieren. Am Weihnachtstag soll er Glastonbury erreicht und den Gral im Boden vergraben haben. Aus dem Pilgerstab, den er in die Erde steckte, wurde ein Weißdornbusch, dessen Ableger heute noch zu Weihnachten blüht. Auch gründete er der Sage nach dort die erste Kirche in Britannien. Im 11. und 12. Jahrhundert entstand der Mythos der Tafelrunde mit König Arthus: die Ritter der Tafelrunde um König Artus suchten den Heiligen Gral.“
Quelle: Ökomenisches Heiligenlexikon
https://www.heiligenlexikon.de/BiographienJ/Joseph_von_Arimathaia.htm
Die Legende des Joseph von Arimathia wird in der apokryphischen Acta Pilati des 5. Jahrhunderts fortgeschrieben. Je nach Überlieferung soll sich sein Grab in Jerusalem, in dem schottischen Kloster
Glais oder in der Abtei von Glastonbury befinden. Hier wird einmal deutlich, wie beliebig mit dem Sagenstoff und den Motiven in der Literatur umgegangen wurde. Ein jeder nahm sich, was gerade in
seine Zeit, zur Mode und zur politischen Lage passte.
Robert de Boron und Chrétien de Troyes haben also als erste die Artussage mit der schon bestehenden Gralslegende verknüpft und für ihr Ersinnen weiterer Abenteuer der Ritter der Tafelrunde genutzt.
Der Gral ließ sich leicht auf walisisches Erzählgut „aufpropfen“, wo schon der keltische Kessel vielmals Erwähnung findet.
„Was immer auch für Einflüsse das Konzept des Grals geformt haben, um derentwillen sich die Artusritter in alle Winde zerstreuten, es sind Vorstellungen, die bis ins megalithische Zeitalter
hinaufreichen, die indisches, persisches, griechisches, arabisches Wissen mit einbeziehen – eine Wurzel geht auf den keltischen Kessel der Fülle, der Weisheit, der Wiedergeburt, kurz des Lebens,
zurück.
Die Mabinogionerzählung von Peredur benennt zwar den Gegenstand nicht mit „Gral“, aber im Schloss seines Onkels tragen, nachdem zwei junge Männer mit einer riesigen blutenden Lanze ** vorbeigekommen
sind, zwei Jungfrauen, die Gralsprozession vorwegnehmend, eine Silberschüssel, in der ein abgeschlagener Kopf in seinem Blut schwimmt, […] , ins Nebengemach (siehe Kopfkult).
Ende des 12. Jahrhunderts beschreibt Chrétien de Troyes zum ersten Male einen Gral als kostbare, edelsteinbesetzte Schale. Später erst, als entdeckt wird, dass er die Hostie enthält, die den
Fischerkönig am Leben erhält, wird er zum besonderen geheiligten Gefäß. Chrétiens Zeitgenosse, Robert de Boron, greift auf Blut als Inhalt zurück, jedoch im verchristlichten Sinne, indem er den Gral
mit der Abendmahlschale gleichsetzte, in der Joseph von Arimathea das Blut Christi auffing. Der Gral, d.h. das heilige, christliche Gefäß, versorgte ihn während seiner langjährigen Gefangenschaft mit
körperlicher und geistiger Nahrung, genauso wie er die Gralsritter auf ihrer tagelangen Meerfahrt nach Sarras und ihrer darauffolgenden Gefangenschaft versorgen sollte. Nach der englischen
Überlieferung bringt er diesen nach Glastonbury (vgl. Avalon). Er soll dort im Chalice Hill, an dessen Fuß die heilige Quelle, Chalice Well, in einem wohlgepflegten Garten sprudelt, vergraben worden
sein. Als zuvor „450 Jahre nach der Passion Christi“ der Gral in weiße Seidentücher gehüllt am Artushof erschien und an der Tafelrunde entlangglitt, fand jeder Ritter zwar die Speise an seinem Platz,
die er sich heimlich gewünscht hatte, gleichzeitig fühlte er jedoch im Herzen eine solche Sehnsucht, das Mysterium des Grals zu ergründen, dass alle Artus´ Hof verließen und sich auf die Suche
machten. Jetzt spielt nicht mehr das physische, sondern das Spirituelle die Hauptrolle. Der Gral greift, im Geistigen nährend, heilend, belebend ein, aber nicht mehr für die reale Welt, sondern für
ein davon abgetrenntes Jenseits, das allerdings mit dem ewigen Leben gekoppelt ist. Sicher der wichtigste Unterschied zwischen dem christlichen Gral und seiner keltischen Vorlage ist, dass er nicht
mehr als Durchlaufspunkt in einer ewigen Wiederholung, sondern als Endpunkt einer linearen Entwicklung gesehen wird.“ [8]
*Der Fischerkönig ist in den Legenden um den Heiligen Gral der Hüter der Gralsburg.
* *Lanze: vgl. Blitz („Wie die anderen Indoeuropäer sahen die Kelten im Blitz die Waffe des Himmelsgottes, nur besaß ihr Taranis, im Gegensatz zum römischen Jupiter oder germanischen Thor, eine Sonnenkomponente. Blitz wie Sonne sind himmlische Feuer, eine ambivalente, wohltätige und zerstörerische Kraft.“)